Rietberg (dg) „Christen steht auf…“ – mit dem traditionsreichen Osterweckruf in der Nacht von Karsamstag auf Ostersonntag, begann 1848 die Geschichte des MGV Rietberg. Der Lehrer und Organist Heinrich Sasse aus Wiedenbrück, brachte die musikalische Botschaft in die ehemalige Grafenmetropole, als er dort angestellt wurde. Er übte mit der damaligen Jünglingssodalität, so nannte sich die Vereinigung im Revolutionsjahr als Hort demokratischer Gesinnung. Daraus wurde der Männergesangverein Liedertafel von 1848. Eine ereignisreiche Vereinsgeschichte nahm ihren Lauf.
Wechselnde Dirigenten formten den beliebten Klangkörper. Chormitglieder, mit bekannten Namen aus der heimischen Gesellschaft, erfreuten die Menschen im Ort und darüber hinaus bei zahlreichen Auftritten. Es gehörte zum guten Ton, bei Gesangstalent, im MGV zu singen. Jedoch unterlag die Aufnahme seit 1887 einem strengen Ritual. Nach einigen Proben folgte die Entscheidung im Chor per Ballotage. Es gab eine geheime Abstimmung mit weißen und schwarzen Bohnen. Wahlweise warfen die Sänger eine Bohne in die Multermühle, der vereinseigenen „Abstimmungsmaschine“. Ein Öffnen der Schublade lieferte direkt das Ergebnis: Weiß hieß aufgenommen. Eine Mischung aus Freude an der Musik, Konzerterfolgen und gelebter Geselligkeit war der Klebstoff dauerhafter Chorexistenz. Lange Mitgliedschaften, in Einzelfällen bis zu 70 Jahren, waren keine Seltenheit. Der MGV erfreute sich schon immer geschätzter Anerkennung bei den Rietbergern. Als äußeres Zeichen stiftete Gutsbesitzer C. F. Tenge den Sangesmännern 1897 eine wertvolle Vereinsfahne, die bis heute existiert. Zwei Weltkriege unterbrachen aktives Singen und Proben im MGV. Bald nach Ende jener zerstörerischen Zeit half Gesang auch wieder zurück zum friedvollen Leben. Dynamik prägte die neue Zeit und die Liedertafel war gern gesehener Gast bei vielen nationalen und internationalen Konzerten. 1953 erfolgte die erste Auslandsreise nach 1945 ins niederländische Enschede. Dann Sängerbundfest in Klagenfurt/Österreich 1954. Chorfest in Wien 1971 mit 15.000 Teilnehmern weltweit. Abendlicher Vorstandsempfang bei Bundeskanzler Kreisky. Weitere Konzertreisen folgten nach Innsbruck, Antwerpen, Linz, Prag und anderen Veranstaltungsorten. Sie wussten um ihre Qualität, ernteten überall herzlichen Applaus für harmonische Gesangsqualität in vier Stimmlagen. Nachhaltige Erfolge förderten das Vereinsleben. Heimische Begeisterung fanden sie in den stimmgewaltigen „Stuckemeier-Chören“. Eine Formation mit Sängern aus Gütersloh, Rheda-Wiedenbrück und Rietberg, deren Herbstkonzerte „Klänge der Freude“ große Publikumsresonanz im Kreisgebiet fanden. Heinz Stuckemeier dirigierte seit 1972 bis zuletzt den MGV. Seine musikalischen und menschlichen Qualitäten machten eine so lange Zusammenarbeit möglich. Doch die Zeit wandelt sich. Junge Menschen sind kaum noch für klassischen Männerchor-
Gesang und damit verbundenem Repertoire zu gewinnen. Schweren Herzens, aber mit realer Bewertung, stimmten die Mitglieder für Auflösung des Männergesangvereins „Liedertafel“ Rietberg.