Rietberg (mad). Auf spontane Einladung hat Elmar Brok die Rietberger Cultura besucht, um den Schülern der Klassen 10 aus der Gesamtschule und dem Gymnasium historische und politische Zusammenhänge des Ukrainekrieges zu erläutern. Eine Geschichtsstunde, wie sie interessanter nicht sein konnte, und Dank des umfangreichen Wissensschatzes des Mannes, der knapp 40 Jahre als Mitglied des Europäischen Parlaments tätig war, sehr verständlich vorgetragen.
„Es ist Tag 68 des Ukrainekriegs“, leitete Bürgermeister Andreas Sunder den Vortrag Elmar Broks ein, den er am vergangenen Montag vor den Jugendlichen hielt. Es ist ein kompliziertes Vorhaben, die Situation in der Ukraine zu beschreiben und in den historischen Kontext einzusortieren. Elmar Brok, kurz vor seinem 76. Geburtstag stehend, hat diesen Versuch unternommen. „Wir sind in einem Krieg, der unvorstellbar ist. Unvorstellbar auch deswegen, weil wir etwas Anderes gewohnt sind“, leitete er seinen Vortrag ein und meinte damit die friedlichen Jahrzehnte, die hinter uns, die hinter Europa liegen. Doch holte er aus in die Deutsche Geschichte, auch in unrühmliche Zeiten dieses Landes und zog Parallelen zum jetzigen Vorgehen des russischen Präsidenten Wladimir Putin, zeichnete die Landkarte früherer Zeiten nach und verdeutlichte, was sich seither getan hat in Sachen Grenzverläufen. „Putin hat seit 2000 mehrere harte Kriege geführt“, so Brok und nannte den Georgienkrieg 2008, die Annexion der Krim 2014 und den jetzigen Einmarsch in die Ostukraine. „Das waren keine Separatisten, sondern russische Soldaten“, machte er klar. „Deutlich wird Putins Vorhaben in seinen Reden und Schriften“, fuhr Elmar Brok fort. Darin beschreibe der russische Präsident klar seine Absichten: „Er will das alte Russland errichten und die Ukraine ist das Kronjuwel“, machte Brok es unmissverständlich klar. „Man sollte diesen Mann verdammt ernst nehmen.“ Doch warum schlägt Russland gerade jetzt zu? Für Putin sei die Situation günstig: Er wähnt in den USA einen schwachen Präsidenten, in Deutschland sieht er Unsicherheiten, die mit dem Regierungswechsel einhergehen und auch in Frankreich standen Wahlen an. „So ist der dekadente westliche Laden nicht in der Lage zu handeln“, resümierte der Europa-Experte. Zudem sieht er eine Ukraine, die immer mehr an den Westen heranrückt. „Die jungen Leute dort wollen eine Ukraine, die frei und europäisch ist“, sagte Brok. Hinzu steige derzeit der Druck auf Putin, den wirtschaftlichen Einfluss aufgrund der sinkenden Gasexporte zu verlieren. „Auch als Diktator muss er einen Erfolg vorweisen. Wirtschaftlich läuft es nicht. Also muss ein territorialer Erfolg her. Und er wird sich nicht mit einem Teilerfolg zufrieden geben“, mahnte Brok.
Zu eventuellen Fehlern, mit Russland Geschäfte gemacht zu haben, sagte Elmar Brok: „Ich habe immer gesagt, dass wir mit Russland wirtschaftliche Beziehungen pflegen müssen. Aber ohne uns abhängig zu machen.“ So sei es unverzeihlich, sich durch North Stream II in derartige Abhängigkeit begeben zu haben. Hat der Westen die Pflicht, die Ukraine zu unterstützen? „Die Ukraine war bis 1994 die drittgrößte Atommacht der Welt. Ihre Waffen gab sie an Russland ab unter der Zusage, dass Russland, England und die USA gewährleisten, die Ukraine zu schützen, sollten ihre Grenzen verletzt werden“, wusste Brok zu berichten und zog abermals eine Parallele in die Geschichtsbücher: In England hatte einst Winston Churchill vor dem Eroberungswahn Hitlers gewarnt, aber niemand hat ihm zugehört, unter anderem auch ein Neville Chamberlain (damaliger Premierminister Englands) nicht. „Wir brauchen mehr Churchill und weniger Chamberlain“, so Brok.
Elmar Brok war auf die Initiative einer Schülermutter, Martina Speit, nach Rietberg gekommen. Nach dessen Besuch in der Basilika vor einiger Zeit war sie so begeistert, dass sie über MdL André Kuper den Kontakt zu dem ehemaligen Europaparlamentarier suchte und dieser spontan zusagte. Trotz vollen Terminkalenders. Doch gerade vor jungem Publikum zu referieren ist Elmar Brok eine Herzensangelegenheit, wie er im Anschluss an den Vortrag zu verstehen gab.