Neuenkirchen (sst). Als Maria Steinberg am 30. November 1924 im früheren Moese als Maria Jungewelter geboren wurde, war die Welt noch eine ganz andere: Weimarer Republik, keine Fernseher, kein Internet und kaum Autos. Die Uhren schienen auf dem Hof der Familie Jungewelter, auf dem Maria Steinberg mit sechs Geschwistern groß wurde, noch deutlich langsamer zu ticken als 100 Jahre später. „Ich hatte eine schöne Kindheit und habe viel Zeit draußen verbracht“, erinnert sich die Jubilarin. Nach dem Schulabschluss ging es für sie auf die Handelsschule in Lippstadt. Da früher noch keine Busse fuhren, musste sie den 14 Kilometer langen Weg täglich mit dem Fahrrad zurücklegen – auch bei Schnee und Eis. „Elterntaxis gab es damals ja noch nicht“, sagt Maria Steinberg grinsend.
Ihren Humor hat die 100-Jährige nie verloren, obwohl ihr Berufsstart in einer der dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte lag. Denn ihr erster Vorgesetzter in ihren Job als Sekretärin im Rietberger Rathaus war Mitglied der NSDAP. „Ich war damals neben dem Bürgermeister die Einzige, die noch einen Schlüssel zum Aktentresor hatte. Da wurden viele Geheimdokumente über die Aktivitäten und Gesinnungen von einflussreichen Personen aufbewahrt“, erzählt Maria Steinberg, die zur Zeit des dritten Reiches auch zuständig für die Auslösung des Bombenalarms im Stadtgebiet war. Ein Job der ob seiner Gefahr, dass sie im Rathaus getroffen werden könnte, viel Mut verlangte: „Ich hätte meinen Platz auch für den Luftschutzbunker verlassen können, aber dann hätte ja niemand Entwarnung gegeben“, sagt die 100-Jährige pflichtbewusst. Erlebnisse, die aus heutiger Sicht für eine lebendige Erinnerungskultur Gold wert sind.
Nachdem die Stadtmitarbeiterin 1951 Hermann Steinberg geheiratet hat, trat die Familie für die gläubige Katholikin in den Vordergrund. Ihrem ältesten Sohn Alfred folgten noch drei weitere Jungs. „Meine Männerwirtschaft hat mich junggehalten“, verrät Maria Steinberg, die dank der Hilfe ihrer Söhne Ludger und Helmut sowie Schwiegertochter Edith noch immer zu Hause wohnen kann. Junggehalten hat sie auch ihr Interesse an der Weltgeschichte, die sie täglich in der Zeitung und der Tagesschau verfolgt.
Dazu beigetragen haben auch die Busreisen quer durch Europa, die Sowjetunion und Jugoslawien, die sie gemeinsam mit Ehemann Hermann in den 80er- und 90er-Jahren angetreten ist. Der einzige Wehrmutstropfen für die geistig noch fitte Seniorin ist, dass viele Bekannte und Geschwister mittlerweile schon tot sind. Doch nach so einem ereignisreichen Leben kann Maria Steinberg auch das nicht mehr aus der Bahn bringen.