Rietberg (rdp). „Schulstation, weil Lernen Raum braucht“ – die erfolgreiche Kooperation zwischen Martinschule und Jugendwerk Rietberg hat sich mit einem überarbeiteten Konzept neu aufgestellt und sich ein neues Leitbild gegeben. Die Schulstation der Martinschule Rietberg bringt bewusst vieldeutig auf den Punkt, was die Arbeit seit 20 Jahren ausmacht: Kindern und Jugendlichen selbstbestimmten Raum geben, Zeit einräumen, ihr Leben aufräumen und einen Raum für Vertrauen schaffen.
„Im Mai 2004 begann der Schulbetrieb mit einer Klasse“, blättert Adolf Salmen, Einrichtungsleiter des Jugendwerks, ins Archiv zurück. Damals sei das Projekt für einen Zeitraum von zehn Jahren angedacht gewesen. Nun blickt die Kooperation auf zwei erfolgreiche Jahrzehnte zurück. „Auch zwanzig Jahre später ist es immer noch etwas ganz Besonderes“, ergänzt André Müller, Schulleiter Martinschule. Derzeit werden 15 Mädchen und Jungen der Klassenstufen 1 bis 10 mit ‚Förderbedarfen im Bereich der Emotionalen und sozialen Entwicklung intensivpädagogisch gefördert‘.
Sie leben in Wohngruppen des Jugendwerks und werden von vier pädagogischen Fachkräften des Jugendwerks und drei Lehrkräften für sonderpädagogische Förderung der Martinschule im Schulalltag begleitet. Seit vier Jahren ist Sandra Dransfeld hier angestellt und hat vor zwei Jahren die Leitung der Schulstation übernommen. Und fand hier schnell die Erfüllung ihres Berufsbildes: „Die emotionale und soziale Entwicklung sind Bereiche, wo ich schon immer für mich gedacht habe, dass mir so die Schülerinnen und Schüler am nächsten sind.“ So ist für sie wichtig, dass Sonderpädagogik nicht nur auf Schulfächer schaut, sondern den ganzen Menschen im Blick hat. „Und die Bereitschaft und Haltung zu haben, sich dieser besonderen Situation auch zu stellen. Nicht nur eine Rolle haben, sondern auch mal selbst Gefühle zulassen.“
In der Schulstation muss sich die Unterrichtsgestaltung an den Bedürfnissen, Biografien und Ressourcen der Kinder und Jugendlichen orientieren. Das erfordert eine intensive Begleitung und ein individuell angepasstes Niveau von Anforderungs- und Entspannungsmomenten im Tagesverlauf. Der Tag beginnt in der Schulstation um 8 Uhr, bei dem die Struktur Schule in vielen Teilen aufrechterhalten werden soll. „Jeder Schüler hat einen eigenen Stundenplan“, erklärt Sandra Dransfeld, der Lernen in Kleinstgruppen genauso möglich macht wie Einzelunterricht. Dazu sind auch die Räume – im Sinne von Klassenzimmern – angepasst. „Wichtig ist es, den Menschen kennenzulernen, mit dem ich hier zu tun habe. Sein Vertrauen gewinnen, da Schule für ihn schon negativ behaftet sein kann.“
Die Vorgeschichte der Kinder und Jugendlichen kann so unterschiedlich sein: Entwicklungshemmnisse, Traumata, keine intakten Familienmodelle. Eine Bindung zur Schule und Lernverhalten ist oft fremd. „Wir müssen auch schwierigste Situationen aushalten, den Teufelskreis durchbrechen, tragfähige Beständigkeit schaffen und Nähe aushalten“, sagt André Müller. Adolf Salmen fordert sogar: „Wir müssen immer Lösungen finden. Kein Kind wird hier rausgeworfen, höchstens geplant entlassen.“ Selbiges gilt auch für die Schulstation: Nach einer Zeit in der Schulstation gelingt es vielen Schülerinnen und Schülern wieder, an Regel- oder Förderschulen Fuß zu fassen. Dabei werden sie so lange von Mitarbeitenden der Schulstation unterstützt, bis sie in der neuen Schule gut angekommen sind und sich sicher fühlen.
Die Martinschule ist eine Förderschule, die als Offene Ganztagsschule Schülerinnen und Schüler mit einem sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf in den Bereichen Lernen und emotional-soziale Entwicklung in den Klassen 1 – 10 unterrichtet. Der Unterricht an der Martinschule orientiert sich an den Richtlinien und Lehrplänen der Grund- und Hauptschule.
Das Jugendwerk Rietberg ist eine intensivpädagogisch-therapeutische Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe, die es meistens mit Menschen voller Verzweiflung, Abgründen und Hoffnungslosigkeit zu tun hat. Das Anliegen des Jugendwerks ist, immer eine Lösung zu finden, egal wie groß das Problem ist.