Seelsorge als Sorge für die Seele ernst genommen

Dorothea Berger folgt innerer Berufung im Altenheim St. Johannes Baptist

Seelsorgerische Begleiterin Dorothea Berger. (Foto: RSA/Pfaff)

Dorothea Berger in der Kapelle des Seniorenheims St. Johannes Baptist in Rietberg. (Foto: RSA/Pfaff)

 

 

Rietberg (rdp). „Seelsorge ist für mich die Sorge für die Seele. Obwohl ich katholisch bin, verstehe ich mich als Seelsorgerin für alle“, möchte Dorothea Berger die Menschen im Seniorenheim St. Johannes Baptist begleiten und ihnen keinen Weg vorgeben: „Jeder Bewohner soll im Gespräch etwas finden, was für ihn gut ist.“

 Vor zwei Jahren erhielt Dorothea Berger nach neunmonatiger Ausbildung die Beauftragung durch das Erzbistum Paderborn zur seelsorgerischen Begleiterin. Viele Jahre hatte die Rietbergerin zuvor als MTA und dann als Pflegeassistentin im Altenheim gearbeitet. „Dann bin ich in die Betreuung gewechselt, weil dies mehr meinen Neigungen entsprach“, erinnert sich Dorothea Berger. Zudem hatte sie in der Einrichtung beobachtet, dass die Seelsorge immer mehr an Bedeutung verliert: „Die Arbeitsbelastung hat stark zugenommen, es sind unterschiedliche kulturelle Prägungen vorhanden. Durch die knapp getakteten Verrichtungen in der Pflege ist kaum Raum und Zeit für nahe Begegnungen, für das, wonach die Seele schreit.“

Also entschied sich Dorothea Berger zu handeln, und bat um Weiterbildung, um das nötige Handwerkszeug an die Hand zu bekommen. Auf die Grundhaltung käme es an, so Berger: denn Wertschätzung, Empathie, Vertrauen, Authentizität, respektvoller Abstand, Erfahrung und zugleich Begegnung auf Augenhöhe sowie ein gutes Gehör, um auch die Zwischentöne zu verstehen, seien Voraussetzung.

Für viele Bewohner sei der Umzug in ein Seniorenheim ein großer Schritt, der auch ein Abschied vom Zuhause sei. Auf diesem neuen Lebensweg möchte Dorothea Berger die Menschen begleiten, ohne sich aufzudrängen oder nur aus der Bibel vorzulesen. Das seien oft die ersten Vorurteile der Bewohner gewesen. Berger: „Über Alltagsgespräche rutscht man oft unbemerkt in tiefe Themen hinein. Dabei entsteht eine Atmosphäre des gegenseitigen Interesses füreinander und des Vertrauens. Der Gesprächspartner kann sich entfalten. Als seelsorglicher Begleiter lasse ich mich auf die Suchbewegungen des Anderen ein mit ausgestreckter Hand.“

In der Praxis habe sie mehrfach festgestellt, dass die Bewohner gar nicht immer eine Lösung der Probleme von ihr erwarten. Oft reiche ein „Dasein“, ein Mitfühlen und die Verzweiflung des Anderen mit aushalten zu können. „Das, was ich tue, ist für mich christlich. Damit identifiziere ich mich. Durch meine Reisen habe ich auch andere Weltanschauungen kennengelernt. Der Glaube ist eine Kraftquelle, eine Hilfe im Sterben. Durch einen starken Glauben fühlt sich der Mensch getragen, beschützt, geführt, getröstet durch eine höhere Macht. Offenheit gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen ist selbstverständlich.“

 

Lesen Sie das ganze Interview mit beeindruckenden Aussagen aus dem Alltag von Dorothea Berger.

 

Was ist für Sie Seelsorge?

Seelsorge – die Sorge für die Seele – ein Bücher füllendes Thema.

Auf unserem Lebensweg begegnen uns immer wieder unterschiedliche Menschen. Sie kommen, gehen und manche bleiben lange an unserer Seite. Gerade in herausfordernden Situationen bzw. in Grenzsituationen wünschen wir uns, dass jemand ein Stück des Weges mit uns geht. Dabei entwickeln sich oft für alle Beteiligten kostbare Begegnungen, Seelsorge ist ein Entwicklungsprozess. Manchen Menschen tut es gut, über Sorgen und Nöte zu sprechen. Manchmal ist dies aber nicht mehr möglich. Auch dann ist es meine Aufgabe, da zu sein, mitauszuhalten. Diese Momente können eine ungeheure Tiefe haben, die man mit Worten nicht ausdrücken kann.

 

Was war Ihre Motivation sich zu verändern?

In der Einrichtung, in der ich als Betreuungsassistentin arbeitete, beobachte ich seit Jahren, dass die Seelsorge von Seiten der Mitarbeiter immer mehr an Bedeutung verliert und die Qualität der Seelsorge abnimmt. Kaum ein Mitarbeiter kennt sich noch mit Gebeten, Liedern oder Ritualen aus oder hat die Zeit, sich mit den seelischen Bedürfnissen der Bewohner auseinanderzusetzen. Die Arbeitsbelastung hat stark zugenommen, es sind unterschiedliche kulturelle Prägungen vorhanden. Durch die knapp getakteten Verrichtungen in der Pflege ist kaum Raum und Zeit für nahe Begegnungen, für das, wonach die Seele schreit. Auch für eine angemessene Begleitung der Sterbenden ist keine Kapazität vorhanden. Zwischenmenschliches, also das emotionale Verhältnis der Mitarbeiter zu den Bewohnern, geht mehr und mehr verloren. Leider geht es auch in der Betreuung überwiegend darum, einen vorgegebenen Plan zu erfüllen, den Bewohnern Zerstreuung zu bieten, sie zu aktivieren und anzuregen. Das ist zwar auch wichtig, aber ich nehme deutlich wahr, dass den Bewohnern echte menschliche Zuwendung und spirituelle Angebote fehlen.

 

Welchen Weg haben Sie eingeschlagen?

Wenn man einen Missstand sieht, hilft es niemandem, nur darüber zu klagen. Also habe ich mich dazu entschlossen, an der mir seitens der Einrichtungsleitung angebotenen Weiterbildung zur seelsorglichen Begleitung teilzunehmen, um Handwerkszeug an die Hand zu bekommen, wie ich Menschen hilfreich begegnen und begleiten kann. Es ist mir eine Herzensangelegenheit, das seelsorgliche Angebot in unserer Einrichtung zu erweitern und mich hier mit meinen persönlichen Möglichkeiten, Talenten und Fähigkeiten einzubringen.

 

Welche Talente sollte man mitbringen?

Es bedarf einer gewissen Grundhaltung, wenn man seelsorglich tätig sein möchte. Dazu gehören u. a. Wertschätzung, Empathie, Vertrauen, Authentizität, ein respektvoller Abstand, Begegnung auf Augenhöhe und ein gutes Gehör für Dinge, die zwischen den Zeilen gesagt werden. Man muss Gefühle und Gemütsbewegungen erspüren können, d. h. spüren, wo die Sehnsucht des anderen ist, die Menschen in ihren seelsorglichen Bedürfnissen wahrnehmen. Auch persönliche Erfahrungen sind hilfreich, um sich in den Menschen gegenüber hineinfühlen zu können. Denn wenn ich selbst durch schwere Krisen gegangen bin, kann ich erahnen, wie sich mein Gegenüber in etwa fühlt.  Seelsorgliche Begleitung findet nicht immer geplant statt. Natürlich gehören lachen und scherzen und Selbstironie dazu. Hin und wieder entwickelt sich sogar auch am Sterbebett schwarzer Humor. Das wirkt befreiend.

 

Wie laufen die Gespräche mit den Bewohnern ab?

Über Alltagsgespräche rutscht man oft unbemerkt in tiefe Themen hinein. Dabei entsteht eine Atmosphäre des gegenseitigen Interesses füreinander und des Vertrauens. Der Gesprächspartner kann sich entfalten. Es ist ein Prozess herauszufinden, was dem Betroffenen guttut. Jeder Mensch weiß erst einmal grundsätzlich selbst am besten, was er für seine seelische Gesundheit benötigt. Er ist selbst am besten in der Lage, seine Situation zu analysieren und eine Lösung für seine Probleme zu erarbeiten. Wenn man sich aber in einer existentiellen Krise befindet, ist die eigene Wahrnehmung oft gestört. Man bekommt einen Tunnelblick und befindet sich im Gefühlschaos. Die „Warum“- Frage lähmt und blockiert, man starrt nur auf die Krise. In so einem Fall von ganz dunkler Tiefe hilft es, nicht alleine auf dem Weg zu sein. Wenn dem Verzweifelten eine Beziehung angeboten wird, die von Annahme, Wärme, Einfühlungsvermögen, Verständnis, empathischem Verstehen und Echtheit getragen ist, ist der Mensch in der Lage, Klarheit für sich zu finden und unterschiedliche Sichtweisen auf seine Situation zu erkennen. „Es ist die Beziehung, die heilt.“ (C. Rogers). Wenn Gefühle verbalisiert werden, fühlt sich der Andere verstanden und kann so zu einer Lösung gelangen, die mit ihm im Einklang ist. Wichtig ist, dass man dem Gesprächspartner keinen Weg vorgibt, den man vielleicht selbst im Kopf hat. Er muss sich frei entfalten können. Als seelsorglicher Begleiter lasse ich mich auf die Suchbewegungen des Anderen ein mit ausgestreckter Hand.

Oft werden Sinnfragen gestellt. Sie sind schwer zu beantworten. Der Sinn kann verborgen sein, aber er ist immer da. Es gibt nichts ohne Sinn. Das Leben stellt jedem Menschen Aufgaben, die erfüllt werden sollen. „Es kommt nicht darauf an, was wir vom Leben noch zu erwarten haben, sondern vielmehr, was das Leben von uns erwartet. Leben heißt letztlich Verantwortung tragen für die rechte Beantwortung der Lebensfragen, für die Erfüllung der Aufgaben, die jedem einzelnen das Leben stellt, für die Erfüllung der Forderung der Stunde.“ (Viktor Frankl)

Wo man keine Antwort findet, kann trotzdem eine große Erleichterung eintreten, wenn die Gefühle Ausdruck finden können. Das Schicksal können wir nicht ändern, aber wir haben Einfluss auf die Einstellung zu schweren Ereignissen. „Ich kann dir den Schmerz nicht nehmen, aber ich kann es spüren.“ Das lässt den Schmerz leichter ertragen. In der Praxis habe ich mehrfach festgestellt, dass die Bewohner gar nicht immer eine Lösung der Probleme von mir erwarten. Oft reicht ein „Dasein“, ein Mitfühlen und die Verzweiflung des Anderen mit auszuhalten. (Hiob) – dem Anderen signalisieren: „Du bist nicht allein.“ Es kann der Seele schon guttun, wenn jemand einfach da ist. Genaues Hinhören ist hier elementar, ebenso wie Angst, Traurigkeit und Verzweiflung wahrzunehmen und tief empfundene Sinnlosigkeit mit dem anderen gemeinsam auszuhalten. Dann ist nonverbale Kommunikation ganz besonders wichtig. Berührung ist seelische Nahrung, es ist die Sprache des Herzens, die man auch versteht, wenn Worte nicht ankommen. Seelsorge- Gespräche und nonverbale Kommunikation bringen emotionale Entlastung. Die Gewissheit angenommen zu sein, macht die Seele schon ein Stück gesund.

 

Wie bereiten Sie sich vor?

Es erleichtert den Zugang zum Gespräch, wenn man Hintergründe durch Angehörige kennt und Wissen über andere Glaubensrichtungen und Weltanschauungen hat. Man versteht dann besser die Sprache des Gegenübers und mit welcher Sprache man ihm begegnen kann.

Dem Menschen ist die Freiheit gegeben, sich zu entscheiden, die Chance, sein Leben zu gestalten. Darum ist der Mensch immer suchend nach seinem persönlich richtigen Weg. Auf vorgegebenes Schicksal haben wir insofern Einfluss, als dass wir Regie führen und Entscheidungen treffen dürfen. Das nicht vorgegebene in unserem Leben ist unser Spielraum. Hier sehe ich meinen Auftrag, die Menschen auf ihrem Weg zu begleiten und zu halten, zu sagen: „Ich bin bei dir.“, Gemeinschaft anbieten in allen Lebenssituationen.

 

Wie finden Sie den in eine Beziehung?

Im Grunde genommen ist jedes in Beziehung treten irgendwie eine Form der Seelsorge, alles, was für die Menschen zum Wohlbefinden beiträgt, jedes Zwischenmenschliche, was Authentizität und Empathie beinhaltet. Jeder Mensch ist zur begleitenden Seelsorge im Sinne des Beistehens, Mittragens und des sich Einfühlens berufen und befähigt.

In schwierigen Lebenslagen und trostlosen Zeiten benötigt der Mensch viel Vertrauen, und eine Hand, die ihn hält. Diese Erfahrung möchte ich gerne den Menschen, die mir anvertraut sind, erlebbar machen. Denn ein getrösteter, verstandener Mensch findet inneren Frieden.

Jeder Mensch nimmt Gott anders wahr. Es gibt viele Bilder von Gott. Die Biographie und persönliche Erfahrungen und die eigene Spiritualität spielen dabei eine Rolle. Jeder hat eine andere Perspektive, aber der Kern ist immer gleich. Während meiner Arbeit und auch privat bin ich Menschen mit sehr unterschiedlichen Gottesbildern begegnet und habe auch gesehen, was das jeweils mit den Menschen macht. Eine Bewohnerin zum Beispiel hatte ein Bild in ihrem Kopf tief verwurzelt von einem strafenden, zornigen Gott. Diese Vorstellung machte ihr nicht nur Angst, sondern verfolgte sie mit Panik, besonders vor ihrem Tod. Ich habe sie auf ihrem Weg begleitet so gut ich konnte. Wir führten viele Gespräche, in denen ich ihr zu vermitteln versucht habe: „Jeder Mensch ist angenommen, darf sein, wie er ist.“ Ganz zum Schluss ist sie dann doch entspannt eingeschlafen.

 

 

Wonach suchen die Menschen

Viele der Bewohnerinnen haben einen guten Zugang zu Maria. Im Mariengebet finden sie Trost und Kraft, Rosenkranz und Marienikone sind ihnen wichtig. Sie fühlen sich mit Maria verbunden, weil auch sie schlimmes Leid – das allerschlimmste Leid einer Mutter – aushalten musste und es angenommen hat. Dann finde ich leicht in das Gespräch.

Ein mir Anvertrauter war an Krebs erkrankt mit schlechter Prognose. Er wusste nie so recht, wie er Gott einordnen sollte. Aber er trug Tag und Nacht einen Schutzengel an einer Halskette. Wurde der Schutzengel bei der Körperpflege beiseitegelegt, wurde er schnell unruhig und verlangte nach ihm. Er bedeutete ihm sehr viel. Daraus schöpfte er Kraft und Hoffnung. Symbole sind wichtig. Sie spenden Trost und geben auf eine eigentümliche Art Kraft und Hoffnung. Der Mensch war dankbar für Gespräche über den Glauben. Als ein nachdrücklich Suchender waren unsere Gespräche von großer Tiefe. Und er verstand: Nichts ist selbstverständlich im Leben. Jeder Tag ist ein geschenkter.

 

Wie finden Sie ihre persönliche Spiritualität?

Seelsorge bedeutet auch, die persönliche Spiritualität der Menschen zu finden. Jeder Mensch ist auf seine eigene Art und Weise spirituell, auch Menschen, die Gott ablehnen, anderen Religionen angehören oder andere Weltanschauungen haben. Als Christ könnte man Spiritualität gleichsetzen mit dem Heiligen Geist. Aber seelsorgliche Begleitung findet unabhängig davon statt, toleriert anderes Denken und lässt sich auf die individuellen Bedürfnisse ein. Spiritualität hilft bei der Sinnsuche und um innere Ruhe und Ausgeglichenheit zu finden. Sie ist eine sehr wichtige Kraftquelle, um mit Krankheit, Leiden, Abschied, Trauer und den Fragen und Problemen des Lebens umzugehen. Es ist wichtig und meine Aufgabe, den Menschen bei der Suche und Hebung ihres eigenen spirituellen Schatzes zu helfen.

 

Auf welche Menschen treffen Sie?

Im AH sterben überwiegend betagte Menschen einer Generation, die andere Werte, eine andere Vorgeschichte, eine andere Erziehung erlebt haben. Sie sind durch den Krieg traumatisiert und haben einen ganz anderen Erfahrungsschatz als die jüngere Generation. Sie haben gelernt auszuhalten, sich nicht zu widersetzen. Somit haben auch Symbole und Rituale für sie einen ganz anderen Stellenwert. Es gilt herauszufinden, was ihnen wichtig ist.

 

Wie sorgen Sie für sich selbst?

Wenn ich mich selbst nicht im seelischen Gleichgewicht befinde, kann ich auch anderen Menschen nicht kompetent zur Seite stehen. Daher ist Selbstfürsorge sehr wichtig. Man muss eine Balance finden zwischen professioneller Nähe und schützender Distanz, zwischen Be- und Entlastung. Begleiter sind gefährdet für einen Burnout, wenn man sich aus ungesunder Solidarität die eigene Lebensfreude versagt. Man fühlt sich manchmal schlecht damit, wenn es einem selbst eigentlich gut geht und weiß, dass sich der Mensch gegenüber nie wieder erholen wird. Als Begleiter benötigt man Ventile zur Entlastung (gegenseitiger Austausch, Hobbys). Ehemals selbst Betroffene können gute Trauerbegleiter sein, da sie den Schmerz kennen und das lange Auf und Ab des Trauerweges selbst erlebt haben. Sie können ohne viel Worte empathisch begleiten. Es entstehen oft tiefe Kontakte und Gespräche. Dies bereichert emotional, kostet aber auch viel Kraft. Die Konfrontation mit dem Sterben lässt Menschen die Endlichkeit des Lebens erfahren. In der Begegnung mit Sterbenden und Trauernden lernt man, die Kostbarkeit des Lebens neu zu sehen und zu erleben.

 

Wie gehen Sie mit Sterbebegleitung um?

 Als Begleiter begreife ich das Sterben als Teil des menschlichen Daseins. Die Begleitung Sterbender bedeutet eine stille, kontinuierliche, sich in den Sterbenden und seine Bedürfnisse hineinfühlende Fürsorge. Würdevoller, gelingender Sterbebeistand ist vor allem durch das Vermitteln von Geborgenheit und das Gefühl geprägt, gehalten zu werden und NEBEN dem Betroffenen zu gehen. Flexibilität und Spontanität sind gefragt. Der Sterbende gibt den Weg vor, Selbstbestimmung und Lebensqualität sind oberstes Gebot. Leben muss man das ganze Leben hindurch lernen. Auch Sterben muss man das ganze Leben lang lernen. Die eigene Auseinandersetzung mit dem Tod ist Voraussetzung für eine gelungene Sterbebegleitung. Daher ist Sterbebegleitung ist zugleich Lebensbegleitung: Ein Geben und Nehmen zwischen Sterbenden und Begleitendem, das von beiden Seiten als unglaublich bereichernd und wertvoll erlebt wird. Im Sterben ticken die Uhren anders. Sterbebegleitung heißt Zeit haben, sich Zeit nehmen.

  

Gesprächsthemen Sterbender
  • individuelle Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und Sterben, Rückschau halten, stellt sein Leben in Frage
  • nachdenken über Fehler
  • sucht Antworten
  • Bilanz ziehen über ungelebte Wünsche
  • Wie werde ich sterben? Wie fühlt es sich an?
  • Sinnfragen: Warum muss ich jetzt schon sterben?
  • Wie lange noch?

Die einen erwarten sehnlichst das Ende, die anderen fürchten es, weil sie im Inneren noch nicht mit ihrem Leben abgeschlossen haben oder es noch unerledigte Dinge gibt.

  • Konflikte: Versöhnen, verzeihen
  • Selbstvorwürfe: Hätte ich doch …
  • Schuldgefühle
  • religiöse Fragen: Hinterlasse ich Spuren?

Was kommt nach dem Tod?

Warum lässt Gott das zu?

 

Die einen ringen und hadern mit ihrem Schicksal und suchen eine Erklärung oder einen Zusammenhang mit vorhergegangenen Lebenssituationen, die anderen versuchen, einen spirituellen Nutzen in ihre Krankheit zu interpretieren.

  • Sorgen: Wie kommt die Familie ohne mich zurecht?
  • Kann ich loslassen?
  • letzte Wünsche: Testament, Ordnung schaffen, den Frühling riechen

 

Haben Sie persönliche Erinnerungen?

Die Erinnerungspflege an verstorbene Bewohner ist mir sehr wichtig. Die Menschen sollen nicht vergessen werden, sondern Spuren hinterlassen. Geht man achtsam und würdevoll mit dem Tod um, ist das für die Bewohner und Angehörigen tröstlich. Hierzu pflegen wir ein Erinnerungsbuch, hängen die Trauerschleife an die Zimmertür des Verstorbenen halten und in der Wohngruppe zum Abschied eine Andacht. Einmal im Jahr findet eine Andacht statt in Erinnerung an die Menschen, die in dem vergangenen Jahr verstorben sind.

Die Kooperation mit dem örtlichen Pfarramt, dem ambulanten Hospizdienst und mit den Angehörigen ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit.

Ich verstehe mich als jemanden, der Menschen konfessionsunabhängig, wertfrei und offen für alle Religionen, Weltanschauungen, atheistische Denkweisen in schweren und existentiellen Situationen zur Seite steht. Jeder Mensch ist einzigartig und jeder Mensch hat seine eigene Wirklichkeit. Da ich in einer katholischen Einrichtung arbeite, biete ich natürlich in der hauseigenen Kapelle Andachten an, berücksichtige die christlichen Feste im Jahreslauf und gehe auf individuelle Gebetswünsche ein.

Manchmal benötigen Sterbende neutrale Personen, mit denen sie über ihre Sorgen und Nöte sprechen können. Der pflegerische Alltag in der Pflegeeinrichtung lässt nur schwer eine individuelle und zeitaufwändige Sterbebegleitung durch das Pflegepersonal allein zu. Hier sind die ehrenamtlichen Kräfte eine große Hilfe.